Profil
Sprache und Emotionen
Emotionen spielen in vielen Bereichen des menschlichen Lebens eine entscheidende Rolle. Sie beeinflussen Urteile, Entscheidungen und Handlungen von Individuen ebenso wie die ganzer Gruppen oder Gesellschaften. Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat diesen essentiellen Einfluss von Emotionen – auch in Bereichen, die wie Politik und Wirtschaft scheinbar von rationalem Handeln geprägt sind – betont.
Der enge Zusammenhang zwischen Emotionen und Zeichenpraktiken wurde in der Vergangenheit jedoch kaum systematisch erforscht. Dabei waren Strategien, Emotionen durch politische Reden gezielt zu beeinflussen, bereits Gegenstand der antiken Rhetorik. Heute existieren jedoch kaum wissenschaftliche Modelle, die erklären, wie sprachliche Formen, rhetorische Strategien und verschiedene Medien mit affektiven Prozessen interagieren. Languages of Emotion nahm diese Interaktionen aus verschiedenen, fachspezifischen wie interdisziplinären Perspektiven in den Blick.
Interdisziplinäre Emotionsforschung
Um die Frage nach dem Zusammenspiel zwischen Emotionen und Sprache zu beantworten, wurden bei Languages of Emotion eine Vielzahl heterogener, bisher oftmals getrennt von einander verfolgte Ansätze der Emotionsforschung zusammengebracht. Die Spannweite reichte von psychologischen und neurowissenschaftlichen Perspektiven über die Sozialwissenschaften hin bis zur langen Tradition geisteswissenschaftlicher Emotionsforschung.
Der Name der Einrichtung Languages of Emotion beruht auf einem weiten Sprachbegriff: Als 'Sprache' wird die gesamte Brandbreite an Zeichenpraktiken verstanden. Dazu gehören neben gesprochener und geschriebener Sprache sowie dem körperliche Ausdruck von Emotionen in Gestik und Mimik auch alle Arten von Zeichenpraktiken und Ausdrucksmodalitäten in verschiedenen Medien und Künsten wie dem Film, Fernsehsendungen, Romanen, der Malerei oder Musik.
Languages of Emotion rekurriert einerseits auf Nelsons Goodmans Studie Languages of Art (1968) zur Frage, wie kulturelle Zeichensysteme die Wahrnehmung und die affektive Beziehung zur Welt prägen. Andererseits verwendete Charles Darwin diese Formel in seinem Buch The Expression of Emotions in Man and Animals (1872). In diesem Sinne wird erforscht, wie emotionale Erfahrungen und ihre psychologische und physiologische Grundlage von Sprache geformt werden und ob es ähnliche Wechselbeziehungen auch bei anderen Spezies gibt. Der antiken Tradition der Rhetorik, Poetik und Ästhetik verdanken sich wichtige Impulse für die Forschung der Languages of Emotion, da diese Theorien bereits Formen der Affektmodulation durch die Künste und andere Kommunikationsformen präfigurieren.
Darüberhinaus wurden individuelle emotionale Fähigkeiten im Zusammenspiel mit der Fähigkeit zur Symbolisierung sowohl bei gesunden als auch bei Individuen mit affektiven Störungen untersucht. Im Zentrum der Forschung standen zudem die Languages of Emotion unterschiedlicher zeitgenössischer und historischer Kulturen. Indem die komplexe Dynamik zwischen Zeichengebrauch und Emotion genauer in den Blick genommen wurd, wurde analysiert, wie in Kulturen, Gesellschaften oder sozialen Gruppen Emotionen und ihre Äußerungsformen benannt, ausgedrückt, bewertet und generiert werden.
Diese komplexe und facettenreiche Forschungsagenda konnte nur durch die erfolgreiche Kooperation einer Vielzahl von Disziplinen umgesetzt werden. Theoretische Modelle waren ebenso Ziel von Languages of Emotion wie die Entwicklung neuer interdisziplinärer Methoden der Emotionsforschung.
Methodenkombinationen und Methodenentwicklung
Die Forschungsfragen von Languages of Emotion wurden in interdisziplinären Projekten mit unterschiedlichen Fächer- und methodenkombinationen bearbeitet. Beispielsweise wurden für eine Studie über die affektive Wirkung politischer Rhetorik die Reden des US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama klassische rhetorische Modelle mit experimentellen Verfahren kombiniert. Rhetorische Figuren in diesen Reden wurden identifiziert und ihre persuasiven, affektiven und ästhetischen Effekte auf der Ebene des subjektiven Erlebens, der Verhaltensreaktionen und Gehirnaktivität analysiert.
Für die Untersuchung von Filmgenres wurde anhand des Hollywood-Kriegsfilmes eine Analysesystematik entwickelt, mit der der Zusammenhang zwischen der audiovisuellen Struktur eines Filmes und der spezifischen Dynamik der Affizierung des Zuschauers herausgearbeitet, dargestellt und verglichen werden kann. Mit diesem Verfahren konnte beispielsweise gezeigt werden, wie unterschiedlich die Propagandafilme von Leni Riefenstahl und Frank Capra verfahren, um ihre Zuschauer zu mobilisieren.
In einem weiteren Forschungsprojekt wurden ethnographische Beobachtungs- und Beschreibungsverfahren mit entwicklungspsychologischen Theorien und Experimenten verknüpft. Im Mittelpunkt stand die emotionale Sozialisation von Kindern in drei verschiedenen Gesellschaften (Taiwan/Tao, Madagaskar/Bara, Indonesien/Minangkabau). Es konnte gezeigt werden, dass Kinder gleichen Alters unterschiedliche Emotionsausdrücke zeigen – in Abhängigkeit von traditionellem Gefühlswissen der jeweiligen Gesellschaften, Erziehungspraktiken und der Art der Mutter bzw. Bezugsperson-Kind-Interaktion.
Integration disziplinärer Kulturen
Ziel von Languages of Emotion war es, eine künstliche Spaltung der wissenschaftlichen Betrachtung von Emotionen als biologische Mechanismen einerseits und rein diskursive Funktionen andererseits zu überwinden. Für die Geisteswissenschaften bedeutet das, ihr Wissen über historische Diskurse über Affekt und Emotion sowie über kulturelle Praktiken, Emotionen auszudrücken, auch auf die Erfahrung der biologisch-physiologischen Grundlage des menschlichen Lebens rückzubeziehen. Für die Naturwissenschaften bedeutet das, der Formbarkeit und Strukturierung der psychologischen und physiologischen Basis affektiver Prozesse durch kulturelle Zeichenpraktiken ('Sprache') Rechnung zu tragen. Für die Sozialwissenschaften heißt das, bei der Beschreibung und Theoriebildung über Emotionen im sozialen Handeln das Zusammenwirken von Symbolisierungsprozessen, Arten des Emotionsausdrucks und individuelle affektive Prozesse zu berücksichtigen.
Eine Erforschung des Zusammenspiels zwischen Zeichenpraktiken und Emotionen wie sie in Languages of Emotion in interdisziplinärer Weise unternommen wurde, trägt dazu bei, das Feld der affective sciences, das bislang von den Naturwissenschaften dominiert war, um sozial- und geisteswissenschaftliche Perspektiven zu bereichern und interdisziplinäre Theoriebildung zu ermöglichen.