Affektive und ästhetische Prozesse beim Lesen (110)
Reden und Texte kämpfen um Aufmerksamkeit, Gefühle, ästhetische Lust und manchmal auch Zustimmung ihrer Adressaten. Was sind determinierende Variablen dieser kognitiven und affektiven Prozesse beim Lesen?
Rhetorik und Ästhetik postulieren affektive und ästhetische Wirkungen von Äußerungen/Texten in Abhängigkeit von bestimmten Elaborierungen (Tropen, Figuren) sowie von Semantik, Syntax, Phonetik und Prosodie des Sprechens/Schreibens. Diese Wirkungen sind bislang nur zu einem verschwindenden Teil empirisch untersucht worden. Das Projekt unternimmt es, durch gezielte Modifikation rhetorischer, ästhetischer und gattungsrelevanter Merkmale von Texten deren Wirkungen sowohl in behavioralen rating-Studien als auch in neuropsychologischen Messungen zu untersuchen.
Das Projekt integriert rhetorische Theorie, rhetorische Einzelanalyse und Variation, empirische Erhebung von Selbstauskünften und neurowissenschaftliche Messungen an Probanden und möchte damit ein neues multimethodales Modell rhetorisch-psycholinguistisch-neurowissenschaftlicher Forschung vorstellen.
In einer ersten Projektlinie werden affektiv und ästhetisch wirksame Eigenschaften von Texten (1) in Einzelsätzen (anhand von Sentenzen) und (2) in zusammenhängenden politischen Reden untersucht. Durch systematisches Entfernen und Variieren formaler rhetorischer Merkmale (z.B. Homophonien, Anaphern, Metrum) unter weitestgehender Wahrung der Semantik wird ein Material erstellt, auf dessen Basis wir Effekte sprachlicher Figuralität experimentell messen können.
Eine zweite Projektlinie untersucht den Einfluss textäußerer Informationen auf die Verarbeitung kurzer erzählender und beschreibender Texte. Wir stellen die Frage, ob Informationen über die Faktualität oder Fiktionalität eines Textes den Leser beeinflussen, noch bevor er mit der Lektüre beginnt, und untersuchen die Effekte entsprechender Rezeptionsverträge zwischen Autor und Leser auf affektive und ästhetische Prozesse beim Lesen mit Hilfe eines speziell zu diesem Zweck entwickelten Paradigmas.
Publikationen
Altmann, U., Bohrn, I. C., Lubrich, O., Menninghaus, W., Jacobs, A. M. (2012). The power of emotional valence - from cognitive to affective processes in reading. Front. Hum. Neurosci 6 (192). doi: 10.3389/fnhum.2012.00192
Altmann, U., Bohrn, I.C., Lubrich, O., Menninghaus, W., Jacobs, A. M. (2012). Fact vs fiction - how paratextual information shapes our reading processes. Social Cognitive and Affective Neuroscience. doi: 10.1093/scan/nss098
Bohrn, I. C., Altmann, U., Lubrich, O., Menninghaus, W., Jacobs, A. M. (2012). Old Proverbs in New Skins - An fMRI study on defamiliarization. Frontiers in Language Science 3 (204). doi: 10.3389/fpsyg.2012.00204
Bohrn, I., Altmann, U., Jacobs, A. M. (2012). Looking at the brains behind figurative language - a quantitative meta-analysis of neuroimaging studies on metaphor, idiom, and irony processing. Neuropsychologia 50 (11). 2669-2683. doi: 10.1016/j.neuropsychologia.2012.07.021
Forgács, B., Bohrn, I. C., Baudewig, J., Hofmann, M. J., Jacobs, A. M. (2012). Neural Correlates of Combinatorial Semantic Processing of Literal and Figurative Noun Noun Compound Words. Neuroimage 63 (3). 1432-1442. doi: 10.1016/j.neuroimage.2012.07.029
Bohrn, I., Altmann, U., Lubrich, O., Menninghaus, W., Jacobs, A.M. (2011). Wie wohl ist dem, der dann und wann sich etwas Schönes dichten kann - Affektive Effekte von Reim und Metrum am Beispiel W. Busch. Tagung experimentell arbeitender Psychologen (TeaP; Halle). Halle. Tagung experimentell arbeitender Psychologen (TeaP; Halle)
Bohrn, I., Altmann, U., Lubrich, O., Menninghaus, W., Jacobs, A.M. (2010). Was der Leser nicht kennt, frisst er nicht? - Eine fMRT-Studie zu formelhafter Sprache. Tagung experimentell arbeitender Psychologen (TeaP; Saarbrücken). Saarbrücken. Tagung experimentell arbeitender Psychologen (TeaP; Saarbrücken)
Lubrich, O. (2010). Rhetorik der Entschlossenheit. Zu Barack Obamas erster 'State of the Union Address' of 27 January 2010. WDR 5 Radio. 28. Januar 2010.
Lubrich, O. (2009). Mit Cicero an die Macht. Rheinischer Merkur. 24. September 2009. Interview on political rhetoric with Hans-Joachim Neubauer