Informationen zu unserer Arbeit bei den Minangkabau
Die Minangkabau auf der indonesischen Insel Sumatra
Die Minangkabau sind auf der indonesischen Insel Sumatra in der Provinz Westsumatra beheimatet. Bereits 500 v. Chr. sind Bewegungen von Bevölkerungsgruppen aus Taiwan nach Südostasien dokumentiert worden, was die Zugehörigkeit der Bahasa Minangkabau (Minang) zur west-austronesischen Sprachfamilie erklärt und eine Gemeinsamkeit mit den madagassischen Bara und den auf der taiwanesischen Insel Lanyu lebenden Tao darstellt.
Innerhalb der west-austronesischen Sprachfamilie ist die Bahasa Minangkabau der Malay-Sprache am nächsten. Die Bahasa Minang beinhaltet unzählige Dialekte, sodass die Sprache zwischen unterschiedlichen Regionen und teilweise sogar benachbarten Dörfern divergiert. Heute wird in Westsumatra neben der Bahasa Minang als Umgangssprache im familiären und dörflichen Kontext die Lingua franca Bahasa Indonesia vornehmlich als Schriftsprache gelernt, aber in formalen Kontexten wie z.B. der Schule auch gesprochen.
Geographie und ökonomischer Kontext
Das Kerngebiet der Minangkabau befindet sich zwischen den Hochlandstädten Payakumbuh, Batusangkar und Solok im vulkanisch geprägten Barisan-Gebirgszug auf einer Höhe von etwa 900 Metern über dem Meeresspiegel. Das Klima ist subtropisch geprägt und das gesamte Jahr ist niederschlagsreich. Die ursprünglich dicht bewaldeten Flächen im Hochland sind entlang der Straßen besiedelt und werden landwirtschaftlich kultiviert.
Reisnassfelder prägen heute das Landschaftsbild und werden an Berghängen in terrassierter Form angelegt. Weitere angebaute Nutzpflanzen sind Zimt, Yams, Obst und verschiedene Gemüsesorten, die teilweise für die Subsistenz verwendet, aber größtenteils auf lokalen Märkten veräußert werden. Darüber hinaus wird die Zucht von Rindern, Pferden und Wasserbüffeln betrieben. Alle landwirtschaftlichen Aktivitäten sind bislang kaum industrialisiert. Reis ist das Grundnahrungsmittel und spielt als Gabe bei traditionellen Zeremonien wie z.B. Hochzeitsfesten, Trauerfeiern etc. eine zentrale Rolle.
Außerdem sind die Minangkabau für ihre hohe Mobilität in Form von Arbeits-Migration/ merantau bekannt. Vorwiegend Minang-Männer nehmen Arbeitsangebote auf anderen indonesischen Inseln oder auch außerhalb der Landesgrenzen wahr. Manchmal wird die Kernfamilie mitgenommen, aber häufiger bleibt die Frau mit ihren Kindern bei ihren Eltern im Heimatdorf zurück und der Vater hat bei Besuchen einen Gaststatus.
Soziale und religiöse Organisation
ie Minangkabau sind Moslems, die eine stratifizierte Gesellschaft mit matrilinearer Klanstruktur bilden.
Hierin bestehen Unterschiede zur gesellschaftlichen Organisationsform der Bara und Tao. Der scheinbare Antagonismus der Vereinigung von Matrilinearität und Islam hat in den letzten Dekaden das ethnologische Interesse an den Minangkabau geweckt. Durch die matrilineare Deszendenzregelung wird die soziale Position der Minangkabau-Frauen gestärkt, was als Widerspruch zu dem „patriarchalischen bias“ des Islam gesehen wird (Blackwood 1995).
Die matrilineare Organisationsform bestimmt auch die Struktur der Haushaltsgemeinschaft, die aus einer Frau, ihren unverheirateten Töchtern und jüngeren Söhnen besteht.
Ehemänner haben traditionellerweise in diesen matrifokal ausgerichteten Haushalten nur Gaststatus, d.h. sie haben Idealtypischerweise keinerlei Entscheidungsgewalt, was die Belange der Haushaltsgemeinschaft und damit auch ihre Kinder angeht, sie sind ‚lediglich’ für die ökonomische Versorgung der Kinder zuständig.
Stattdessen wird in der Literatur der „mamak“ / Mutterbruder als zentraler Entscheidungsträger für seine Nichten und Neffen beschrieben, allerdings scheint diese zentrale Rolle im Erziehungskontext in der heutigen, sozialen Realität vermehrt von leibliche Vätern übernommen zu werden, die enge emotionale Bindungen zu ihren leiblichen Kindern entwickeln.
Im Hochland von Westsumatra ist sowohl im städtischen als auch ländlichen Kontext der islamische Glaube sehr zentral. Der familiäre Tagesablauf wird durch die religiöse Praxis geprägt und strukturiert. So sind alltägliche ökonomische Aktivitäten an die fünf Tagesgebete und den Freitag als islamischer Feiertag angepasst. Kinder lernen bereits im Kindergarten als erste Fremdsprache die arabische Schriftsprache und beginnen den Qur’an (Koran) zu lesen. Erst durch das selbständige Lesenkönnen der heiligen Schrift erfüllen Minangkabau die Voraussetzung um heiraten zu dürfen. Im Alltagssprachgebrauch halten immer mehr arabische Vokabeln Einzug. Mädchen müssen in formalen Kontexten, d.h. ab dem Eintritt in Kindergarten und während der Schulzeit ein Kopftuch tragen. Ab der Eheschließung sind Frauen dazu verpflichtet in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Des Weiteren sind die männliche und weibliche Sphäre im öffentlichen Leben strikt voneinander getrennt.
Zur Feldforschung:
Die erste Feldforschung von Juni 2009 bis August 2010 hatte primär explorativen Charakter und fand im ländlichen Kerngebiet der Minangkabau zwischen den Städten Bukittinggi und Payakumbuh statt. In der ausgewählten Gemeinde war eine staatliche Grundschule lokalisiert. Die Einwohnerzahl beläuft sich auf 247 Menschen, die sich auf 56 Haushalte verteilen und fünf der zwölf Klans repräsentieren, die die ethnische Gruppe der Minangkabau ausmachen.
In die Studie waren 47 Kinder (21 ♂; 26 ♀) im Alter von 0- 12 Jahren, die im Dorf lebten sowie 60 Kinder im Grundschulalter (6-13 Jahren) aus den Nachbargemeinden eingeschlossen.
Nach Abschluss der Grobanalyse des Datenmaterials findet im Januar 2012 bis März 2012 die zweite Feldforschung in Westsumatra statt. Themenschwerpunkte umfassen eine vertiefende Fragestellungen zur Sozialisation und Entwicklung der Emotionen malu (Scham) und marah (Wut/Zorn).