Katharsis in Wien um 1900
Eine Tagung des Projekts "Die Pathologisierung der Katharsis: Bernays, Freud, Nietzsche"
01.10.2010
Organisation: Daniela Schönle und Martin Vöhler
1.-3.Oktober 2010
Indem Aristoteles die Tragödie in ihrer Wirkung als Katharsis (Reinigung) der tragischen Emotionen (Furcht und Mitleid) fasst, sorgt er für eine bis heute anhaltende Diskussion. Innerhalb der Geschichte der Katharsis-Rezeption bildet ‚Wien um 1900‘ einen Höhepunkt. Der Klassische Philologe Jacob Bernays hatte eine Revision der Aristotelischen Bestimmungen angeregt (1857), indem er an die Vielfalt von Reinigungskonzeptionen in Medizin, Religion und Kult wie auch Musik, Musiktherapie und Tanz erinnerte. Im Rekurs auf die voraristotelischen Katharsiskonzeptionen bestimmt er die tragische Katharsis als einen psychischen Prozess, der über die gezielte Erregung (‚Sollicitation‘) zur ‚Entladung‘ führe. Als ‚Entladung‘ wird die Katharsis seither in der Literatur- und Religionswissenschaft, in der Philosophie und Psychologie diskutiert. Anregungen aus der Thermodynamik und Psychophysik kommen hinzu; Breuer und Freud übertragen das Konzept auf die Hysterietherapie und Psychoanalyse. Um 1900 treffen die verschiedenen Diskurse in Wien verstärkt zusammen, sie überlagern einander, vermischen sich und bieten für die Literatur und die Künste nachhaltige Impulse. Die Tagung geht den Vorgeschichten, Adaptionen und Konstellationen in Wien nach, um abschließend die Frage nach den Folgen zu stellen.
Programm
Freitag, 1. Oktober
Vorgeschichten
- Begrüßung - Winfried Mennighaus, Berlin
- Einführung - Martin Vöhler, Berlin
Leitung - Ingrid Vendrell Ferran, Genf
- Die Entschärfung der Entladung: Katharsis und ästhetische Lust in der psychologischen Ästhetik um 1900 - Tobias Wilke, New York
- Hysterie vor Breuer und Freud: Janets Konzept der "liquidation"- Gerhard Heim, Berlin
Leitung - Peter Bexte, Köln
- Reloaded: Nietzsche, Mayer und die Physiologie - Christof Windgätter, Wien
- Katharsis in anthropologischer Hinsicht -Wolfgang Riedel, Würzburg
Samstag, 2. Oktober
Konstellationen in Wien
Leitung - Andreas Degen, Berlin
- Tragödie, Physiologie, Macht: Fluchtlinien von Nietzsches Katharsis-Rezeption - Christian Emden, Houston
Leitung - Timo Günther, Göttingen
- Von Basel nach Wien: Nietzsches Katharsis-Theorie und die "Bacchantinnen" von Hugo von Hofmannsthal - Gherardo Ugolini, Verona
- Katharsis und Gewalt bei Hofmannsthal - Ritchie Robertson, Oxford
Leitung - Gregor Streim, Berlin
- "Ehrlich bis zur Orgie". Schnitzlers Läuterungen - Elsbeth Dangel-Pelloquin, Basel
- Hermann Bahrs Positionen in der Katharsis-Frage - Daniela Schönle, Berlin
Leitung - Stefan Goldmann, Potsdam
- Ästhetischer Masochismus. Freud bei der Anderen - Konstanze Fliedl, Wien
Sonntag, 3. Oktober
Nachwirkungen
Leitung - Stefan Goldmann, Potsdam
- Kathartische Therapie nach Freud: innerhalb und außerhalb der Psychoanalyse - Günter Gödde, Berlin
- Kathartische Elemente in der rationalemotiven Therapie - Hans-Werner Rückert, Berlin
Leitung - Renate Schlesier, Berlin
- Was bleibt? - Hinderk Emrich, Hannover
- Ästhetik des Abgangs. Das Fortleben der Katharsis nach ihrem Ausscheiden aus der psychoanalytischen Klinik - Robert Pfaller, Wien